Interview mit Fabio Cannavaro (29, Inter Mailand)
18.08.2003
"Deutschland fehlt mir noch"
Am Mittwoch spielt er gegen Deutschland. Im kicker spricht Italiens neuer Kapitän Fabio Cannavaro (29) über Ziele und Träume.
kicker: Herr Cannavaro, was ist das für ein Gefühl, an Stelle des zurückgetretenen Denkmals und Rekord-Nationalspielers Paolo Maldini neuer Kapitän der italienischen Nationalmannschaft zu sein?
Fabio Cannavaro: Das ist das Größte, das Maximum! Besonders wenn man bedenkt, dass ich als Kind auf den Straßen um das berühmte San-Paolo-Stadion von Neapel gekickt und davon geträumt habe, eines Tages Profi zu werden. Es ist wie ein Märchen. Ich als Kapitän der Azzurri! An Stelle von Maldini, vor dem ich als Spieler immer größten Respekt hatte und der ein Vorbild für mich war. Sie können sich vorstellen, wie stolz ich bin.
kicker: Werden Sie von Ihren Kollegen, die fast alle schon mit Ihnen in der U 21 spielten, akzeptiert?
Cannavaro: Del Piero, Vieri, Delvecchio, Panucci und Nesta, um nur einige zu nennen, gehören zu dieser Gruppe. Da gibt's aber keine Probleme. Es herrscht absoluter Respekt untereinander. Es sind große Spieler, die alle ihre eigene Verantwortung übernehmen und denen die Bedeutung, Italien zu vertreten, absolut bewusst ist.
kicker: Sie sind Neapolitaner und haben erzählt, dass Sie auf der Straße Fußball gespielt haben. Wie war Ihre Jugend?
Cannavaro: Ich hatte eine normale Kindheit. Mein Vater war Bankbeamter, meine Mutter Hausfrau. Aber wir wohnten in einem einfachen Viertel, in dem, wie in fast allen Hafenstädten, Probleme herrschten wie zum Beispiel Rauschgifthandel und Schmuggel.
kicker: Hat man Sie auch in Versuchung geführt?
Cannavaro: Mehrmals. Aber, Gott sei Dank, war meine Familie immer für mich da und der Sport hat mir sehr geholfen, von diesen furchtbaren Dingen fernzubleiben.
kicker: Zur Nationalmannschaft zurück. Giovanni Trapattoni wird von vielen wegen seiner defensiven Grundeinstellung kritisiert. Glauben Sie, dass sich mit dem Einbau neuer Offensivkräfte wie Miccoli, Corradi und Perrotta die Spielweise der Azzurri geändert hat?
Cannavaro: Nach der WM 2002, bei der von uns und auch vom Trainer Fehler gemacht wurden, hat der "Mister", unser Trainer, der eine intelligente Person und ein Mann des Fußballs ist, die Mannschaft umgebaut. Er hat die besten jungen Spieler Italiens berufen und gab ihnen die Möglichkeit, zu spielen. Er hat sie gebracht, egal ob deswegen Leute wie Inzaghi, Vieri, Gattuso oder auch Del Piero zu Hause bleiben mussten. Früher wurde daraus ein Drama gemacht, wenn solche Spieler nicht für die Nationalmannschaft berufen wurden. Jetzt ist es Trapattoni egal - er geht seinen Weg, und das ist gut so.
kicker: Hat der Trainer wirklich nie gefordert, ein Ergebnis nur zu verteidigen?
Cannavaro: Nie. Wir sind keine defensive Mannschaft. Wir spielen immer mit zwei Spitzen und zwei Außenbahn-Spielern wie Camoranesi und Delvecchio, die sehr offensiv sind.
kicker: Wie läuft es denn mit den neuen Spielern überhaupt?
Cannavaro: Das war sehr einfach. Es sind alles Jungs mit dem großen Ehrgeiz, sich durchsetzen zu wollen. Und deshalb wollte jeder das Beste aus dieser Chance machen. Alle waren gut - wirklich alle.
kicker: Ist Ihnen bewusst, dass Sie am Mittwoch zum ersten Mal gegen Deutschland spielen?
Cannavaro: Ja, unglaublich, aber wahr. In all meinen Länderspielen habe ich noch nie gegen Deutschland gespielt.Es ist in der Tat die einzige große Fußball-Nation, die auf meiner Liste noch fehlt.
kicker: Was denken Sie über den deutschen Fußball?
Cannavaro: Der deutsche Fußball faszinierte mich schon immer, auch wenn die Deutschen besonders in den letzten Jahren nicht mehr so auftrumpften wie beispielsweise Brasilien. Trotzdem haben sie es immer geschafft, an der Spitze des internationalen Fußballs zu bleiben. Das deutet darauf hin, dass die Grundlagen solide sind - das ist sehr wichtig.
kicker: Sie haben gegen viele Top- Stürmer der Welt gespielt. Gegen wen hatten Sie die größte Mühe?
Cannavaro: Ab einem bestimmten Niveau sind alle schwer zu spielen. Aber in den letzten Jahren war Ronaldo derjenige, der auf den Gegner fast zerstörerisch wirkt.
kicker: Glauben Sie, dass Deutschland nach dem überraschenden Abschneiden bei der WM 2002 in Japan und Korea diesen Erfolg bei der EURO 2004 in Portugal wiederholen kann?
Cannavaro: Auch ohne viele hochkarätige Spieler werden die Deutschen durch ihre gute Organisation immer in der Lage sein, ein hohes Niveau zu halten. Ich bin überzeugt, dass sie sich ihrer fußballerischen Grenzen bewusst sind und versuchen, sich zu verbessern. Dieses Problem hatten wir auch im vergangenen Jahr.
kicker: Das Spiel findet am 20. August statt und die italienische Serie A hat den Spielbetrieb noch gar nicht aufgenommen. Erwarten Sie einen Sommerkick? Oder ein Spiel mit echtem Wettkampf-Charakter?
Cannavaro: Das weiß man vorher nie. Aber eines steht fest: Spiele gegen Deutschland, den Vize-Weltmeister, sind für mich sehr reizvoll. Das wird meinen Kollegen nicht anders gehen.
(c) kicker.de